Was Schweigen bringt…

„Aha interessant. Kommen einem da wirklich DIE ZÜNDENDEN Ideen im Kloster …beim Schweigen, so wie behauptet wird?“ fragte die AMS Beraterin, die lieber auf Weihnachtssongs im Radio wartete als auf meinen nächsten Besuch. Was sollte man jemanden, der dafür Sorge tragen muss, dass die Wirtschaft mit noch mehr überarbeiteten menschlichen Hüllen versorgt wird, darauf antworten? Ich schenkte ihr ein unbeholfenes Lächeln und die hoffnungsvolle Antwort: „Ja, das kann passieren…muss aber nicht. Und wenn man zum Schweigen fährt, erwartet man eigentlich gar nichts.“ Sie nickte skeptisch und kritzelte ihre Unterschrift auf das Blatt mit meinem nächsten Vorladungstermin, den ich statt auf einen Tag nach meinem Vipassana Retreat auf plus vier Tage rausschieben konnte. Man erntet wohl Mitleid, wenn man zum Schweigen fährt.

Tja….

Wir bauen Gemüse an, um gesundes Essen zu haben.

Wir gehen Arbeiten, um auf Urlaub fahren zu können oder zumindest um unsere Miete zu bezahlen.

Wir waschen unsere Hände, um nicht mit einem grippalen Infekt angesteckt zu werden.

Wir machen den überteuerten Kurs um uns für eine bessere Stelle zu qualifizieren.

Wir gehen mit dem Chef auf ein Getränk nach der Arbeit, damit er uns bei der nächsten Beförderungsrunde nicht übersieht.

Wir machen noch diese eine Aufgabe fertig auch wenn zu Hause schon die Familie wartet, dann können wir morgen etwas entspannter zur Arbeit gehen.

Wir machen den Fallschirmsprung, damit wir bei der nächsten Freundesfeier was zu erzählen haben.

Wir posten noch ein Bild von den 200 Lippenstiften am Schreibtisch, damit alle sehen, wie super toll doch unser Job ist.

Wir gehen ins Fitnessstudio, zum Yoga und zum Bauch Bein Po Training, damit wir gesund und leistungsfähig bleiben oder um zumindest nicht allein alt zu werden.

 

Hmmmm…

Alles was wir TUN muss einen gewinnbringenden Zweck erfüllen. Was wir nicht tun, hat keinen Nutzen oder zumindest wir sehen keinen darin.

Mit einem Christbaum unterm Arm ging ich von meinem ersten AMS Termin heim und fragte mich, ob ich der neuen Regierung nun auch für ein Vipassana Retreat eine Rechtfertigung liefern muss, was das meinem Vorankommen im Wirtschaftsleben bringt.

 

Und so fuhr ich auf mein viertes Retreat zum Schweigen. Der Christbaum war längst im Fernwärme Ofen der Stadt Wien verbrannt. Die produzierte Energie der verbrannten Christbäume von Weihnachten 2017 reichte gar aus, um einen Monat lang etwa 1.060 Haushalte mit Strom und 2.470 Haushalte mit Fernwärme zu versorgen. Also sogar der vertrocknete Christbaum hat nun noch einen Nutzen, der für jedem im Internet nachlesbar ist.

 

Verdammt! Muss mir das Schweigen jetzt wirklich Nutzen bringen?

 

Wie üblich brachte es mir die ersten Tage nur Widerstand, Fragen nach dem Warum und körperlichen Schmerzen. – Man will heim!

 

Schließlich dachte ich, wenn ich schon hier sitze kann ich ein paar Probleme durchdenken und lösen. Doch es kamen keine Lösungen auf. Da war nur ein Ringelspiel an denselben schon 100mal gedachten Gedanken. In so einem Ringelspiel verlor ich als Kind mal mein gesamtes Kirtagsgeld und hier bald die Lust, mich weiter im Kreis zu drehen, während meine Sitzbeinknochen schmerzten.

 

Ich stampfte in Gehmeditation durch das Schneegestöber und seit Jahren genoss ich wieder den Schnee auf meiner Nase tanzen und bemerkte die Kälte des Windes, ohne sie zu hassen. Der Schnee unter mir knackste bei jedem Schritt. Ich brauchte eine halbe Stunde um ums Haus zu gehen. In Wien laufe ich in dieser Zeit die gesamte Mahü ab. Ein paar Vögel flogen von Ast zu Ast. Und wenn ich für fünf Atemzüge im Stehen verweilte, hörte ich wie sich der Schnee auf den Bäumen und Sträuchern niederlies.

 

Unter sternenklaren Himmel lag ich im Bett und blickte durch das Dachfenster in die Milchstraße. Da kreiste ein Satellit vorüber und ich erinnerte mich an afrikanische und neuseeländische Nächte und an den Menschen, der ich unter diesen Himmeln war. Doch alles ist in Veränderung.

 

Zur ersten Meditation des Morgens band ich meine ungekämmten Haare zu einem Taoisten Bun und war so fröhlich, weil mir keiner sagen durfte, wie lächerlich das aussah. Das lästige Pochen der Heizkörper im Meditationsraum, war längst zu Musik geworden. Von außen betrachtet, hatten die schweigenden Zombies wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank. Die Meditationskissen waren schon in Position und es gab kaum noch schmerzliche Bewegungen im Raum. Waren wir alle Roboter geworden, wie wir es draußen im Arbeitsalltag sind?

 

Als die Sonne wieder kam und den Schnee vom Dach stürzen ließ kreuzte ein Flugzeug durch das Blickfeld im Dachfenster und diese Erkenntnis durchkreuzte dabei meine Gedanken:

  

Whatever divides us, can also unite us.

 

Ich bin überzeugt in dieser Erkenntnis liegt der Schlüssel zur Rettung der Welt. Hab ihn nur nicht mehr gefunden. Das Retreat war zu Ende. Eine Veganerin war schockiert, dass die köstlichen Kartoffeln aus dem Rohr, die sie schon gegessen hatte, nicht vegan waren und ein Künstler war verliebt in so etwas Alltägliches wie eine 3 Minuten Geschirrspülmaschine, ein paar waren dankbar, dass ihre Zimmergenossen nie mit ihnen gesprochen hatten und ich war froh, dass ich diesmal nie den Kloputzdienst ausgefasst hatte.

 

Vier Tage nach Retreat wieder im normalen Redefluss, fragt mich der neue AMS Betreuer: „Guten Morgen! Also was kann ich für sie tun?“….“Ja schau ma mal… Also Sie sehen wir haben nichts für Sie… Suchen Sie selber weiter. Im Prinzip bin ich hier ja eher für die Auszahlung zuständig, in zwei Monaten kümmern wir uns dann intensiver um ihre Anliegen.“

 

Da ging ich wieder heim.

Ohne Christbaum.

Aber mit ganz viel Schweigen.

Irgendwie habe ich wohl den Schlüssel für die Erkenntnis beim AMS gefunden.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0