ZEITFENSTER

 

Kürzlich ging ich durch den 6. Bezirk, die Mariahilfer Straße meidend, wegen der Menschenmengen, die die Konsumtempeln wieder erstürmen, die Gumpendorfer Straße meidend, wegen des Autoverkehrs. Ich schlängelte mich also die kleinen Gassen hindurch und entdeckte alte Ecken neu. Ein kahles Haus mit vergilbten schmutzigen Fensterläden und Blumentöpfen, die von weiß wem begossen werden, ließen mich innehalten. Das verstaubte, trostlose Eck brachte grünes Gestrüpp hervor, in einem Topf sogar zwei blühende Blumenköpfe. Ein Zettel an der schmutzigen Fensterscheibe erinnerte den vorbeigehenden Stadtbewohner an ein ZEITFENSTER. 

 

Wie oft habe ich mir in den vergangenen Jahren ein weiteres Zeitfenster gewünscht, um noch dieses oder jenes zu tun, bevor der Abgabetag, der Präsentationstag oder schlichtweg der Tag X kam. Selten habe ich sie bekommen. Doch jetzt von Mitte März bis Ende April war da eine so unerwartete Phase von Zeit.  Durch dieses Fenster habe ich gerne geschaut, da bin ich gern gesessen, die Welt bedacht und doch vergessen. 

In diesem Zeitfenster, habe ich auch viele kleine Samen begossen, die schon lange unter einer Schicht trockener Erde lagen, denn es fehlte schlichtweg an einer Ansammlung von Momenten in denen man sie kontinuierlich bewässert und beobachtet wie sie sich entwickeln. Ich ließ sie also lieber ruhen als sie abzutöten. 

Plötzlich entdeckte ich sogar Samen, die ich nie bewusst gesät hatte. Sie waren sowas wie die guerilla gardening Aktion des Universums oder eines Umstands den wir einem Virus zu verdanken haben. Diesen Umstand hasste ich und zugleich war er ganz wunderbar. Es war wunderbar, weil Neues blühte, während Altes versiegte. Es war bereichernd, weil ohne Kontakt plötzlich auch sehr intensiver Kontakt möglich war. Es war aber auch herausfordernd, weil es soviel Aufwand und abfließende Energie bedeutete, sich auf zukünftig ungewisse Zeiten einzustellen.  

Und warum ich in der Vergangenheit schreibe ist, weil es da draußen schon stürmt. Heute saß ich am Küchentisch, blickte auf den Baum, der in den letzten 7 Wochen von keinem grünen Blatt am Ast, sich wandelte hin zu einem Baum in sattem frischen grün. Der Wind wehte ganz wild durch die Äste, beutelte ihn zwischen den dichten Häuserfronten hin und her und ich dachte: Ich fühl mich so BEstürmt wie dieser kräftige Baum. Von allen Seiten in die neue Normalität drängend wünsch ich mir eigentlich nur, noch eine Weile einfach da zu sitzen und zu beobachten wie sich die Pflanzen am ZEITFENSTER entwickeln. 

 

 

 

 

 

 

Why always look OUTSIDE the window?

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