Intuitionen sind niemals von Klarheit umgeben, nur von Impulsen und Eingebungen. So passiert es manchmal, dass ich etwas tue was ich unter normalen Umständen vielleicht nicht in Erwägung gezogen hätte. Ein andermal warte ich auch ab und tue gar nichts, das würden andere vielleicht sogar als Schockstarre definieren. Aber für mich ist es immer den Dingen seine Zeit geben und genau auf den richtigen Moment zu achten, wo dann doch eine Aktion verlangt wird.
Die Montagmorgen beginnen bei mir seit einigen Monaten mit einer Online Meditationssitzung um 7:30 Uhr. Wenn ich den Meditationsplatz vorbereite, weiß ich noch immer nicht was ich genau bei der Meditation anleiten werde. Das ist nicht tragisch, weil ich mich schon vor dem Corona Zeitalter daran gewöhnt habe, weniger Pläne zu schmieden und Dinge aus dem Moment entstehen zu lassen.
An diesem Montag ist es eine Meditation in der wir die Atemräume in uns und die Räume um uns erforschen. Die 30 Minuten sind inspiriert von einem Thich Nhat Hanh Text „Weiter Raum“, den ich 5 Minuten vor Meditationsbeginn in einem Buch zufällig aufgeschlagen habe. Der Text beginnt mit der Atemanleitung: “Einatmend sehe ich mich als weiten Raum. Ausatmend fühle ich mich frei.“ Und enthält folgende Sätze: „Wir sind voller Sorgen, Ärger, Ängste, voller Projekte, Wünsche und so weiter. Wir erlauben uns nicht, Raum in uns zu haben, und um uns herum ist eigentlich auch keiner. Wir haben nicht das Gefühl, dass um uns herum weiter Raum ist, in dem wir uns bewegen können. Was ist das für ein Leben, das wir da führen?“
Im Anbetracht des Lockdowns Light der uns ab dem nächsten Tag blüht, denke ich, dass es für alle hilfreich ist zu fühlen, dass wir ausreichend Raum in uns haben, dass die Enge etwas ist, dass wir uns selbst und andere uns auferlegen und diese Enge ist oftmals nur von eigenen Gedanken produziert.
An diesem Montag dem 2. November 2020 ziehe ich den sonst am Mittwoch stattfindenden Yoga Kurs im Mandalahof vor, sodass wir noch einmal gemeinsam in der Kleingruppe Yoga üben können, bevor wir wieder auf die Online Variante umschwenken müssen. Alle 6 Teilnehmer haben spontan Zeit, der Raum ist frei, die Beginnzeit wird eine halbe Stunde vorverlegt, sodass wir um 19:30 Uhr enden können.
Dieser Allerseelen Tag ist nicht wie jeder andere Montag. Das Wetter ist fein und fast zu warm für einen Novembertag und die organisatorischen Dinge fügen sich eigenartiger Weise für so einen Wochenstart mit Leichtigkeit zusammen. Anscheinend hat die Meditationssitzung vom Morgen genug Raum in mir und um mich herum geschaffen.
Wenn das Wetter passt fahre ich mit dem Rad in den Mandalahof: die Mariahilfer Straße runter, den Ring entlang, durch die Hofburg durch, den Graben kreuzend, um die Peterskirche herum, den Hohen Markt entlang, durch die Ankeruhr durch, den Bauernmarkt und den Fleischmarkt entlang. Weil an diesem Montag aber alles anders ist, lass ich mich und die benutzten Yogadecken, -blöcke, -gurte mit dem Auto abholen und so gehe ich heute zu Fuß durch die Innenstadt Richtung Mandalahof.
Dort angekommen, reiße ich die Türen zum Innenhof auf, lasse frische Luft rein. Die Glocken des Stephansdoms läuten an diesem Tag zur Allerseelen Messe. Das rüttelt mich ein wenig auf, lässt mich Innehalten und über die Vergänglichkeit des Lebens nachdenken.
Die Yogaschüler kommen nach und nach an, müde, nach Entspannung suchend und trotzdem freudig, wegen des kurzfristig geglückten Wiedersehens vor dem Lockdown. Wir bewegen uns wie in jeder gemeinsamen Einheit in aller Bewusstheit und Klarheit durch die Asanas, kommen mehr und mehr mit unserem Körper in Kontakt, halten immer wieder inne um zu spüren was der Körper als Nächstes braucht. Im Raum herrscht entspannte Ruhe und Aufmerksamkeit. Während sich die Yogis in Savasana niederlassen, kommt der spontane Impuls in mir hoch, zum Abschluss ein Lied zu spielen. Es fällt mir das Aad Guray Nameh von Deva Premal ein. Habe ich lange nicht mehr gespielt, ist auch nicht mehr auf meinem Handy. Ich will es trotzdem Jetzt. Also Wifi an. Itunes rein. Aad Guray Nameh suchen. Zur Mediathek dazufügen. Abspielen.
AD GUREH NAMEH
JUGAD GUREH NAMEH
SAT GUREH NAMEH
SIRI GURU DEVEH NAMEH
Als der letzte Ton verklingt, sich alle wieder ins Sitzen bewegen, erkläre ich noch den Sinn dieses Mantras: Es dient dem Schutz. Kaum hab ich das ausgesprochen, denke ich mir: „Astrid, du übertreibst wieder! Auch wenn Corona Zeiten und weniger sozialer Kontakt und vielleicht Ängste wegen Jobverlust oder Krankheit…. So schlimm ist es doch nicht, dass du gleich ein Schutzmantra über jeden legen musst, als würde es um Leben und Tod gehen.“ Aber es war ja schon ausgesprochen. Dankbar für die gelungene gemeinsame Yogastunde vor dem zweiten Lockdown, verabschieden wir uns in entspannter Atmosphäre.
Und voller Dankbarkeit verabschiede ich mich mit einer tiefen Verbeugung vom Buddha im Mandalahof. Mit meinen 4 Taschen voller Yogasachen fahre ich um 19:53 Uhr an diesem Montagabend mit dem Lift runter ins Erdgeschoss, trete am Fleischmarkt 16 an die frische Luft. Eine Dame vorm Champagner Lokal telefoniert mit jemanden: „Geh kommt’s vorbei. Wir trinken noch ein Glaserl, bevor’s jetzt länger nicht mehr geht. …. Ich kann noch nicht sagen, wieviel ich heute trinke.“ *kichern*… Ich verstehe die Menschen, die nochmal Raum suchen bevor es vielleicht wieder Eng in einem wird.
Aber ich will nach Hause. Rein ins Auto. Abfahrt 19:54 Uhr vom Fleischmarkt, den Laurenzberg runter, den Schwedenplatz links liegend lassen, über den Ring, den inneren Bezirk umkreisend. In der Gumpendorfer Strasse kommen uns mehrere Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirenen entgegen. Für Wien nichts Ungewöhnliches, könnte ein Freitag oder Samstag wie jeder andere sein. Ist aber ein Montag wie kein anderer.
Kurz vor 21 Uhr erreichen mich die ersten besorgten Nachrichten in der Pinkzebra Yoga WhatsApp Gruppe. Ob alle die beim Kurs waren schon daheim sind, wird gefragt. Es gäbe eine Schießerei am Schwedenplatz. Nach und nach melden wir uns mit „alles okay – bin daheim.“ Wir hoffen auf jeden. Jemand fragt, ob die beiden Yogaschüler, die noch in der Innenstadt was essen gehen wollten, sich irgendwie gemeldet haben. Es dauert und dauert bis wir von ihnen Nachricht haben, dass sie in einem Lokal eingesperrt sind, niemand rein noch raus darf. Das erleichtert die Gruppe ein wenig und auch wenn wir für den Moment alle in Sicherheit sind und wir uns nicht darüber austauschen, was wir in dieser Nacht über die Medien hören und sehen, so kann ich die Verbindung aller spüren, die die beim Kurs waren und auch alle anderen Yogis aus der Gruppe, die vielleicht auch unterwegs waren oder einfach betroffen sind, von dem was an diesem lauen Abend in unserer unmittelbare Nähe passiert.
Im ersten Moment sind da viele „Was wäre, wenn“ Fragen, dann Dankbarkeit, dass es gut für alle in der Gruppe ausging. Dann fällt mir ein, dass ich das Schutzmantra aus einer Intuition heraus gespielt habe, dann die Morgenmeditation mit dem „weiten Raum“ und schließlich erkenne ich das Wichtigste: Diese Pinkzebra Yoga Gruppe ist mehr als eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam Yoga übt. Es sind Menschen, die sich um den anderen sorgen, die sich für das Wohl des anderen interessieren.
In diesem Corona Jahr habe ich mich phasenweise gesorgt um die Verbindung zu meinen Yogaschülern, die vielfach nur über den Bildschirm stattgefunden hat. Kein gemeinsames Teetrinken vor oder am Ende der Yogastunde und mit einigen sogar kein reales Zusammentreffen.
An den folgenden Tagen nach dem 2. November 2020 - dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt, nur wenige Meter von unserem Yoga Ort entfernt, erkenne ich, dass wir alle zusammenstehen wie eh und je und dass die Tasse Tee beim Yoga zwar fehlt aber unsere Verbindung zueinander nicht. Und genau das ist ein guter Samen, den wir weiterhin säen können, auch ganz ohne persönliche Begegnung, egal ob in der Yogastunde oder außerhalb, wir praktizieren nie für uns allein, sondern auch für alle, die um uns sind.
Anmerkung: Dieses Aad Guray Nameh Mantra soll dich schützen und dir Glück bringen. Es wird dir helfen, positive Menschen und Situationen anzuziehen. ... Das Aad Guray Nameh – Mantra ist mehr als 3000 Jahre alt. Fühlst du dich unsicher, verwundbar oder sogar starr vor Angst, umgibt dich dieses Mantra mit einem beschützenden Energiefeld.

Heast!
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